Direkt zum Hauptbereich

Projekt "Marathon" ist abgeschlossen


Wir schreiben den 20. Juli 2019. Es war ein Samstag. Mein Augen öffnen sich um 04.50 Uhr, über eine Stunde bevor mein Wecker ertönen sollte weckt mich meine Nervosität. Kurz denke ich noch daran weiter zu schlafen, doch schon drängen sich mir 1000 Gedanken in den Kopf. Was sagt der aktuelle Wetterbericht? Habe ich gestern noch Butterzopf besorgt? Schaffe ich den 1. Cut bei der Heidelberger Hütte? Fühlen sich meine Beine und Füße fit an? ...


Was solls, ab in die Küche meines Elternhauses und gleichmal Frühstücken. Einen halben Butterzopf mit einer Tasse frischem Kaffee, die übliche Mahlzeit vor meinen Rennen. Hat mir bei meinem allerersten Halbmarathon nicht geschadet und habe es bei den folgenden Wettkämpfen so beibehalten. In meiner Jugend als Informatiker habe ich mal den Spruch "never change a running system" gelernt, quasi "ändere nichts, wenn etwas funktioniert". Denke das gilt auch für den Tag der Vollendung eines Projektes, auf das man knapp 1 Jahr hintrainiert hat.

Die Zeit vergeht und es ist schnell 06:45 Uhr. Normalerweise sind meine Kinder ebenfalls Frühaufsteher, doch heute scheinen sie nicht aus den Federn zu kommen. Da der Start um 08:00 Uhr müssen sie halt geweckt werden. Meine kleine Tochter gibt mir ein Küsschen und winkt, ohne ihr Bett verlassen zu wollen. Vermutlich habe ich mich mittlerweile schon zu oft, frühmorgens oder abends, im Laufoutfit von ihr verabschiedet.


Ja genau, ich wäre eigentlich schon startklar gewesen, nur noch Schuhe anziehen und los. Doch meine Familie wollte mich ja unterstützen und muss somit natürlich mit zum Start.

20 Minuten bevor es los geht sind wir im Startbereich. Meine Nervosität hat sich ein wenig gelegt. Außer meiner Familie sehe ich keine bekannten Gesichter, obwohl ich in meiner alten Heimat bin. Zumindest gibt es somit kaum Ablenkungen.

Paar Minuten aufwärmen, Küsschen an die Familie und ab in den Startblock. Noch schnell ein Foto für Instagram machen und los gehts. Aber wo ist mein Handy? Das hatte wohl keinen Bock auf einen Bergmarathon und ist beim Frühstück geblieben. Pflichtausrüstung gibt es beim Silvrettarun3000 eh keine und die Marathondistanz wurde ja ursprünglich nur absolviert, weil es damals noch keine Telefone gab. Passt also irgendwie zum Tag.


Gleich gehts los. Das Wetter ist nahezu perfekt für einen Bergmarathon. Kurz noch ein wenig die Gelenke warm hüpfen und schon ertönt der Startschuss. Nun gilt es die Distanz von 42.195km mit 1800 Höhenmetern im Aufstieg und 1600 Höhenmetern im Abstieg in möglichst kurzer Zeit zu bewältigen. Grob erklärt ist die Strecke ein Halbmarathon aufwärts von Ischgl zum Kronenjoch und anschließend von dort ein Halbmarathon wieder abwärts nach Galtür.

Die ersten Meter durchs Dorf in der Menge sind noch recht angenehm, doch schon sind wir beim Prennerhang mit dem ersten knackigen Anstieg. Wie bereits beim Rennen auf den Stubaier Gletscher bin ich bereits auf einer Belastung von über 85% meiner geschätzten maximalen Herzfrequenz. Es gilt ja "never change a running system" treu zu bleiben.


Das Feld war schnell sehr gut einsortiert. Die ersten zehn Kilometer war ich ja bereits in meiner Vorbereitung gelaufen und gehen sehr flüßig aus den Beinen. Der zweite Verpflegungspunkt ist bei der Gampenbahn, wo ich mir nun glatt 1 Minute im Stehen gönne. Bis dahin hatte ich alle 30 Minuten ein Gel und bei der ersten Verpflegungsstation im Vorbeigehen was getrunken. Laut meiner Uhr liege ich super in der Zeit und der Cut bei der Heidelberger Hütte sollte kein Problem werden. Langsam machen sich erste Ermüdungserscheinungen bemerkbar, während ich bei der Heidelberger Hütte ankomme und mir diesmal sogar 2 Minuten Pause gönne.

Meine größte Angst war es, hier nach 10:15 Uhr anzukommen. Somit hätte ich den Marathon nicht mehr laufen dürfen und wäre auf die kürzere Distanz umgeleitet worden. Ich spüre eine große Erleichterung und ein wenig Euphorie, weil es gerade mal 09:50 Uhr ist. Nun kann mich nichts mehr aufhalten. Kronenjoch, ich komme.


Die Strecke ist nun sehr technisch und bald kommen auch die ersten Schneefelder. Hier habe ich einen Vorteil gegenüber vielen meiner Mitstreitern aus flachen Gefilden. Meine Unterschenkel sind schon sehr angeschlagen. Lange Schritte sind gefährlich und verursachen ein Stechen. Hilfe, Krampfgefahr. Bei der nächsten Labe mache ich aber nichtmal halt, zu anstrengend sind die Überholmanöver auf diesem Terrain.

Nur noch 2 Kilometer bis zum Kronenjoch, plötzlich spüre ich Schmerzen in meiner linken Nierengegend. Bei jedem Schritt wird der Schmerz stärker und ich drossle mein Tempo ein wenig. Ich höre kurz in meinen Körper hinein, doch da ist nur Lärm und Gebrüll. Angefangen von der rechten Plantarfaszie über beide Achillessehnen und beiden Unterschenkeln hin zur linken Niere scheint einfach bald alles zu versagen, dabei hab ich noch nicht mal die Hälfte der Strecke geschafft. Irgendwie quäle ich mich weiter und aufmunternde Worte von Wanderern bauen mich zumindest mental wieder auf. Den letzten Anstieg durch ein Schneefeld vor mir sammle ich nochmal alle meine Kräfte, wissend, dass es anschließend abwärts geht und ich mich ein wenig erholen kann.


Nach knapp 3:15h erreiche ich auf einer Seehöhe von knapp unter 3000m (daher übrigens Silvrettarun3000) das Kronenjoch. Beim Verpflegungspunkt trinke ich kurz was und leere meine Softflasks, damit sie mich beim Downhill nicht stören. Das zweite Mal für heute macht sich Euphorie in mir breit, nachdem ich noch vor kurzem fast am Boden zerstört war. Das ist halt Trailrunning at its best, ein auf und ab des Herzens, physisch wie psychisch.

Nun gilt es so schnell wie möglich zur Jamtalhütte zu kommen. Der Downhill ist sehr technisch, anfangs steil und geht ebenfalls über einige Schneefelder. Auch in diesem Streckenabschnitt kann ich den ein oder anderen Mitstreiter überholen, nur eine Frau rauscht mit einem Affenzahn an mir vorbei. Selbst wenn ich nicht relativ vorsichtig laufen würde, um keinen Krampf zu riskieren, wäre ich chancenlos.

Der Downhill macht richtig Spaß und meinem Körper geht es mit jedem Schritt besser. Bald bin ich bei der Jamtalhütte und es ist leider wieder Laufen auf breiten Wanderwegen angesagt. Zumindest sind nun die ominösen Schmerzen meiner linken Niere weg und ich fühle mich fit genug für die letzten 16 Kilometer.


Relativ monoton geht es nun aus dem Jamtal, nur ab und zu gibt es ein paar abwechslungsreiche Streckenabschnitte. Da ich aber nicht mehr allzu fit bin ist es auch nicht so schlimm, wenn man sich nicht auf den Weg konzentrieren muss. Auch ein paar Gespräche von Mitsteitern, denen ich zuhören darf, sind recht interessant. Zum selber Sprechen fehlt mir leider die Luft.

Nun bin ich in Galtür, dem Ziel ganz nah, doch es gilt noch eine große Schleife um den Zielbereich zu absolvieren. Der kleine Anstieg auf die andere Talseite tut richtig weh, doch die anderen Läufer die ich sehe tun sich noch härter damit. Bald gehts zumindest wieder flach dahin und in Tschaffein, ca. 2km vor dem Ziel, wartet schon meine Familie zum Anfeuern für die letzten Kilometer. Kurzes Abklatschen, kurz runter und wieder hoch auf die ursprüngliche Talseite. Bei der letzten Verpflegungsstation trinke ich noch was und ein Becher Wasser kühlt meinen Kopf und Rücken, denn mittlerweile ist es recht warm geworden.


Mit letzter Kraft laufe ich dem Ziel entgegen und kann sogar noch andere Läufer, die nur noch im Wandermodus sind, überholen.

5h 24min 1,9 Sekunden nach meinem Start überquere ich mit dem Versuch zu Sprinten überglücklich die Ziellinie. Mir wird die Finisher-Medaille übergestreift und meine liebe Familie steht wartend im Ziel und es gibt viele Umarmungen.. Es ist vollbracht. Für die nun aufkommenden Gefühle im Ziel gibt es kaum Worte, es ist eine Mischung aus Stolz, Euphorie, Glück und Liebe. Einfach der Wahnsinn. Man muss es am Besten selber mal erleben oder erlebt haben.

Nun bin ich bereit für ein neues Projekt.

Hier noch ein Video vom Zieleinlauf, der offizielle Fotograf hatte leider Mittagspause.

Hier mein persönliches Silvrettarun3000 Video

PS: Fehler und Irrtümer vorbehalten. Respekt vor jenen, die alles gelesen haben, ist nämlich ein wenig länger als gedacht geworden.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Aller Anfang ist schwer

Aber nicht nur der Anfang ist schwer, sondern meist ist die koninuierliche Fortführung einer Tätigkeit um einiges schwieriger. Sei es das Schreiben eines Blogs wie diesen hier, regelmäßige sportliche Aktivitäten oder die Einhaltung von Ernährungsrichtlinien, bis soetwas in die Alltagsroutine übergeht vergehen oft viele Wochen, wenn nicht gar Monate. Damit man diese schwierige Phase durchhält, sind vor allem 2 Dinge in meinen Augen wichtig: Ziele und Motivation. Beginnen wir mit den Zielen. Ich habe mir damals im September ein langfristiges Gesundheists- Sport- und Abnehmziel mit der Dauer von einem Jahr gesetzt. Meine Ziele waren mit dem Rauchen aufzuhören, 15kg abzunehmen und einen Marathon zu laufen. Diese Ziele habe ich in kleinere Zwischenziele unterteilt. Beim Laufen beispielsweise war mein Ziel einen Halbmarathon nach 6 Monaten unter 2 Stunden zu laufen, was für fast jeden Menschen unter 50 Jahren möglich ist. Das finde ich persönlich auch wichtig, dass man sich Ziele wählt, di

Mein 1. Marathon - Silvrettarun 3000

Nur noch 5 Tag bis zu meinem ersten Rennen über die Marathondistanz von 42,195 km, mit zusätzlichen 1.814 Höhenmeter bergauf  und 1.584 Höhenmeter bergab. In Tirol gibt es halt nunmal kein Marathonrennen im Flachen. That's life. Somit ist natürlich der Silvrettarun 3000 in meiner alten Heimat Paznaun die beste Möglichkeit für solch einen Wettkampf im Trailrunning, schließlich kenne ich die Strecke und habe meine Familie an meiner Seite zur Motivation. Sämtliche Vorteile wie Streckenkenntnis und moralische Unterstützung werde ich auch benötigen, um diesen Lauf innerhalb meiner gewünschten Dauer von unter 6 Stunden zu absolvieren. Schneefelder, teilweise technische Trailwege und die Höhenluft auf knapp 3000 Metern über dem Meer werden eine Herausforderung werden. Mit einer Zeit unter 7 Stunden könnte ich auch weiterleben, denn da ich noch nie so lange und so weit gelaufen bin, weiß ich überhaupt nicht was mich erwartet. Schließlich hört man immer wieder von einer ominösen Wand,